Beginn der Verjährungsfrist im VW Abgasskandal
BGH, Verhandlungstermin vom 14.12.2020 – VI ZR 739/20 zum Beginn der Verjährungsfrist im VW Abgasskandal. Wir waren für Sie bei der Verhandlung dabei.
Ein Vorgehen gegen VW ist auch im Jahr 2020 nicht ausgeschlossen, wenn keine hinreichende Kenntnis über die Betroffenheit des eigenen Fahrzeuges vorlag.
„Einer muss es gewesen sein; und zwar nicht jemand, der die Räume sauber macht.“
Der Zeitpunkt dieses langersehnten Geständnisses der Beklagten hätte nicht geschickter gewählt werden können.
Gegenstand der Verhandlung am 14.12.2020 war die Rechtsfrage, wann die Verjährung möglicher Schadensersatzansprüche des VW-Käufers beginnt.
Nach der rechtlichen Würdigung des zuständigen IV. Zivilsenats begann die Verjährungsfrist im Jahr 2015 zu laufen und endete demnach mit Ablauf des 31.12.2018. Infolge der Verjährung der Schadensersatzansprüche gab der Prozessbevollmächtigte der Beklagten – rund 12 Jahre nach Aufdeckung des Abgasskandals – schließlich zu, dass die Entwicklung und der Einbau seitens des Vorstands, zumindest jedoch der leitenden Abteilung bekannt waren.
Ein besseres Timing ist mit Blick auf die Verjährung der meisten Schadensersatzansprüche nicht denkbar.
Folgender Sachverhalt lag dem Verhandlungstermin zugrunde:
Der Käufer erwarb im Jahr 2013 ein Fahrzeug des Herstellers Volkswagen, der mit dem Dieselmotor EA 189 ausgestattet war. Dieser Motortyp war mit einer sog. Abschalteinrichtung versehen, die die Stickoxidwerte je nachdem, ob das Fahrzeug sich auf dem Prüfstand oder im Straßenverkehr befand, optimierte. Aufgrund der Schummelsoftware schaltete das Fahrzeug auf dem Prüfstand der Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) in einen optimierten Modus und hielt die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5 Norm ein. Außerhalb des Prüfstands stößt das Fahrzeug im normalen Fahrbetrieb allerdings erhöhte Stickoxid Emissionswerte aus.
Der Kläger erhob im Jahr 2019 beim Landgericht Stuttgart Klage und verlangte den gezahlten Kaufpreis abzüglich des Nutzungsersatzes Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.
Das Landgericht Stuttgart hat der Klage teilweise stattgegeben. Das OLG Stuttgart hat jedoch die Klage abgewiesen. Der Schadensersatzanspruch des Klägers wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB sei mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt.
Ergebnis der Verhandlung
Nach der vorläufigen rechtlichen Würdigung des IV. Zivilsenats im Rahmen des Verhandlungstermins am 14.12.2020 ist die Beurteilung des Berufungsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es wird von einem Verjährungsbeginn im Jahr 2015 auszugehen sein, da dem Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt eine Klageerhebung aufgrund hinreichender Kenntnis zumutbar war.
Zur Begründung verweist der Senat auf den Wortlaut und den Schutzzweck der Norm des § 199 BGB, der den Verjährungsbeginn regelt. Danach beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
Hiervon geht der BGH im vorliegenden Fall aus. Der Kläger hatte aufgrund der Rückrufaktion des Kraftfahrbundesamtes im Jahr 2015 und der umfangreichen Pressemitteilungen Kenntnis von den den tatsächlichen und entscheidungserheblichen Umständen, sodass eine Klageerhebung in substantiiertem Maße möglich gewesen wäre.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist eine Klageerhebung nach der Verfahrensordnung nicht erst dann zumutbar, wenn der Kläger hinreichende Beweismittel in der Hand hat. Vielmehr reicht es aus, wenn der Kläger den Schluss naheliegend erscheinen lässt, sein Anspruch wäre begründet. Die verbleibende Ungewissheit ist als typisches Prozessrisiko unbeachtlich.
Mit Blick auf den Kenntnisstand des Käufers im Jahr 2015 und den verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Klage ist eine Zumutbarkeit der Klageeinreichung im Ergebnis zu bejahen.
Weiterhin führt der zuständige Senat aus, der Beginn der Verjährungsfrist sei mit Blick auf den genauen Wortlaut und den Schutzzweck der Norm nur in den engsten Ausnahmefällen zugunsten des Gläubigers zu verschieben. Die Vorschrift dient grundsätzlich der Herbeiführung des Rechtsfriedens.
Zu diesem Zweck sind die Anforderungen an die Kenntnis über die anspruchsbegründenden Umstände nicht zu hoch zu setzen. Die Klageerhebung ist demnach dann zumutbar, wenn nach verständiger Würdigung hinreichende Erfolgsaussichten gegeben sind.
Unzumutbarkeit ist hingegen nur dann anzunehmen, wenn widersprüchliche höchstrichterliche Entscheidungen vorliegen, mithin die Rechtslage zweifelhaft ist.
Im vorliegenden Fall geht der BGH davon aus, dass die Rechtslage erst nach dem Verjährungsbeginn unsicher wurde und verneint somit eine Verschiebung der Verjährung. Er verweist diesbezüglich auf die wegweisende Entscheidung vom 25.Mai 2020 – VI ZR 252/19.
Entgegen des Klägervortrags käme es nicht auf die konkrete Kenntnis bezüglich des Verschuldens an. Die Klageerhebung sei vielmehr bereits deshalb zumutbar, da die Behauptung, der Sachmangel in Gestalt der Abschaltsoftware käme aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten, ausreichend sei. Ob und inwiefern der Vorstand darin entwickelt war, muss nicht von der Tatsachenkenntnis des Klägers erfasst sein.
Allein durch die Rückrufaktion des KBA und der umfassenden Medienberichte habe der Käufer hinreichende Kenntnis für eine gerichtliche Geltendmachung erlangt.
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten trägt entsprechend der für den Unternehmer wohlwollenden Würdigung des Senats vor, dass sich die Kenntnis des Klägers gerade nicht auf die konkrete interne Verantwortlichkeitsverteilung erstrecken muss. Eine namentliche Benennung im Hause der Beklagten war für die Klageerhebung ebenfalls nicht erforderlich. Im Namen des Herstellers trägt er vielmehr vor:
„Einer muss es gewesen sein; und zwar nicht jemand, der die Räume sauber macht.“
Alternativ hätte die Klägerin sich jedenfalls auf die Vorschrift des § 831 BGB berufen können, der die Haftung des Verrichtungsgehilfen regelt.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Rechtsverfolgung im Jahr 2015 hinreichend erfolgsversprechend und somit zumutbar war. Dementsprechend begann die Verjährungsfrist bereits im Jahr 2015 und endete mit Ablauf des 31.12.2018.
Der Bundesgerichtshof ist entsprechend der Ansicht des Berufungsgerichts der Auffassung, dass dem Käufer eine Klageerhebung im Jahr 2015 sehr wohl zumutbar war.
Dies heißt jedoch nicht, dass alles VW-Schadensersatzfälle Ende 2018 verjährt sind. Die Verjährungsfrist ist in jedem Einzelfall individuell zu bestimmen.
So müsste der rechtlichen Würdigung und dem voraussichtlichen Urteil in der Sache am 17.12.2020 zufolge die Verjährungsfrist jedenfalls dann beginnen, wenn der Käufer Kenntnis über die Betroffenheit seines Fahrzeugs erlangt hat. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, sobald der Käufer über die Rückrufaktion des KBA informiert wurde.
Andernfalls kommt eine Verschiebung der Verjährungsfrist mangels Unzumutbarkeit nicht in Betracht.
Vorinstanzen:
– Landgericht Stuttgart – Urteil vom 17. September 2019 – 15 O 241/19
– Oberlandesgericht Stuttgart – Urteil vom 14. April 2020 – 10 U 466/19